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Verlorenes ...

    Immer wieder mal hört man den selten dämlichen Satz “Kunst ist was gefällt”. Was wie ein Sprichwort klingt und eine gewisse Gültigkeit suggerieren soll, ist tatsächlich aber so hohl wie das frisch verlegte Abflußrohr einer Sanitärinstallation. Denn was so leicht dahergesagt lediglich zwingenden Aufschluß über die Höhe des Intelligenzquotienten des Sprechers gibt, bedarf doch eigentlich schwierigster gedanklicher Arbeit - so wie auch in der Kunst diese gedankliche Arbeit erst die Basis   für folgerichtige und aussagekräftige Produkte ist.

    Mittels eines echten Sprichworts “Wer suchet der findet” nähern wir uns behutsam unserer wirklichen Problematik: den Verlorenen Bildern. Denn wer würde die innige Verknüpfung von Verlorenem, Gesuchtem und Gefundenem auf höchstem kausalen Niveau leugnen? - Legionen von Kunstwissenschaftlern gingen an diesem ungelösten Problem der Menschheit zugrunde, anstatt mittels selbstbewußtem und pfiffigem Querdenken  beispielsweise das Pferd von hinten aufzuzäumen.

    Vincent 23 etwa weiß alles über die Theorie des Suchens. Aus einigen Fallbeispielen läßt sich die allgemeine Idee des Suchens ableiten und damit ihre wichtigsten Folgesätze: Hectors Suche nach Lysander, Adams Suche nach Eva, die Gralssuche, Fred C. Dobbs` Suche nach dem Schatz der Sierra Madre, Franz-Xaver Übelackers Suche nach umgangssprachlichen Redewendungen in einem typischen bayrischen Milieu, das Streben der Energie nach Entropie, des Schizopartners Suche nach den Verlorenen Bildern, Gottes Jagd nach dem Menschen und Yangs Verfolgung von Yin.

    Bemerkenswert ist, daß die Theorie des Suchens unweigerlich zu dem Schluß führt, daß nichts im eigentlichen Sinne verlorengehen kann. Denn damit eine Sache verlorengehen kann, müßte es einen Ort geben, wo sie verloren geht. Aber einen solchen Ort gibt es nicht, denn Orte lassen sich nicht danach unterscheiden, ob an ihnen Dinge verloren gehen oder nicht. Grundsätzlich kommt jeder Ort für die Suche nach einer Sache, einem Bild oder einer Person in Frage. Deshalb ersetz Vincent 23 die Überlegung, daß etwas verlorengegangen ist, durch die Überlegung, daß sein Aufenthaltsort unbekannt ist, was das Problem einer logisch-mathematischen Analyse zugänglich macht. Eine Analyse des Problems ermöglicht seine Lösung. Nimmt man den Fall Vincent sucht den Schizopartner, so bedeutet diese Aussage zunächst die Aktivität der Suche Vincents und andererseits des Schizopartners Passivität im Zustand des Verlorengegangenseins. Jedoch ist des Schizopartners Passivität unmöglich, weil jeder Mensch ständig nach sich selber sucht und niemand ist von dieser Suche ausgenommen. Man muß also des Schizopartners Suche nach Vincent (nach sich selbst) genauso akzeptieren, wie wir die Suche Vincents nach dem Schizopartner (nach sich selbst) akzeptiert haben.

    So gelangt man zu einer ersten Permutation:

    Vincent sucht den Schizopartner, der nach Vincent sucht.

    Schließlich ist der Schizopartner eine mündige Person und nicht als bloßes Objekt anzusehen. Man muß ihm Selbständigkeit zugestehen und erkennen, daß, wenn Vincent den Schizopartner findet, dieser gleichermaßen Vincent findet.

    Von großer Bedeutung ist die beste Art zu Suchen, um den erwünschten Erfolg zu garantieren. Wenn beide aktiv suchen, verschlechtern sich die Chancen, einander zu finden beträchtlich. Angenommen, zwei Wesen suchen sich gegenseitig in einer großen überfüllten Kunstgalerie, so stellt man in diesem Fall die verbesserte Strategie gegenüber, daß einer sucht und der/die/das Andere an einer Stelle stehen bleibt, bis er/sie/es gefunden wird.

    Der mathematische Beweis ist ein bißchen kompliziert, aber es gilt: die beste Chance, jemanden zu finden besteht darin, wenn einer von beiden sucht, und der andere sich suchen läßt. Nur aus diesem Grund bestimmt man einen Ort, an dem einer der Beteiligten wartet. In der Fachsprache nennt man dies einen Lokalisierungspunkt. Mathematisch gesehen besitzen alle Orte die gleiche Potentialität bezüglich der Wahrscheinlichkeit, so daß der Lokalisierungspunkt willkürlich gewählt werden kann.

    Die Theorie des Suchens ist eine bloße Theorie: das besagt, daß sie auf dem Papier stets reibungslos funktioniert. Wenn man aber diese Theorie in die Praxis umsetzt, tauchen einige Probleme auf, von denen das Phänomen der  Unbestimmtheit das wichtigste ist. Einfach ausgedrückt passiert folgendes: die Existenz der Theorie beeinträchtigt das Funktionieren der Theorie. Die Theorie ist nicht in der Lage, die Auswirkungen zu berücksichtigen, die ihre eigene Existenz auf sie hat. Im Idealzustand existiert die Theorie des Suchens in einem Universum, in dem es keine Theorie des Suchens gibt. Aber in der Praxis - und um die geht es hier - existiert die Theorie des Suchens in einer Welt, in der es eine Theorie des Suchens gibt, die sich selbst in einer Weise beeinflußt, die man als Spiegel- oder Verdopplungseffekt bezeichnet.

    Einige Wissenschaftler vermuten, daß die Gefahr einer unbegrenzten “Duplikation” besteht, wobei die Theorie sich endlos selbst modifiziert, als Folge vorangegangener Modifikationen der Theorie durch die Theorie. Auf diese Weise würde schließlich ein Zustand der Entropie entstehen, in dem alle Möglichkeiten gleichwertig sind. Dieses Argument ist als die van Murrhsche Täuschung bekannt, bei der die Verwechslung bloßer Abfolge mit Kausalität evident ist.

    Die Auswirkung einer Theorie des Suchens auf eine Theorie des Suchens ist natürlich die Erhöhung des Wertes lambda-chi. Lambda-chi ist der Kehrwert des Verhältnisses aller möglichen Suchen zu allen möglichen Funden. Wenn lambda-chi durch Unbestimmtheit oder andere Faktoren wächst, strebt die Wahrscheinlichkeit des Fehlschlags einer Suche gegen Null, während die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs einer Suche sich rasch hundert Prozent nähert. Dies bezeichnet man als den Serien-Expansions-Faktor. Nur während der Dauer des Serien-Expansions-Faktors sind alle möglichen Suchen erfolgreich.

    Deshalb muß Vincent den Schizopartner zwangsläufig finden. Der festgesetzte Lokalisierungspunkt ist das Institut für Bilder in Berg am Laim. Die einzige Begrenzung ist der Serien-Expansions-Faktor, kurz S-E. Nur während der Dauer von S-E können alle Suchen erfolgreich sein. Aber die Dauer von S-E variiert im Einzelfall zwischen 6,3 Mikrosekunden und 1005,3454 Jahren. Es hat allein schon jahrelanger Forschung bedurft, bis man überhaupt erst die Existenz des Serien-Expansions-Faktors entdeckte. Ihn in allen Fällen exakt zu berechnen wäre sicher möglich, wenn S-E eine bloße Variable wäre. Aber leider ist er eine zufällige Variable, und die sind eine Sorte für sich, da die Berechnung von Zufallsvariablen bislang noch niemand so recht im Griff hat.

    Die Wissenschaft steckt eben voller Tücken, aber auch die schlimmsten Tücken lassen sich umgehen: die Suchtheoretiker nennen so etwas eine illegale Rechnung. Anders ausgedrückt handelt es sich dabei um eine pragmatische Rechenformel, mit der sich relativ genau die geforderten Werte berechnen lassen. Aber da es sich nur um eine Theorie handelt, läßt sich die Richtigkeit der Formel nicht beweisen. Irrationale Formeln enthalten beunruhigende Anzeichen dafür, daß die ganze überlegene mathematische Logik sich womöglich auf ungeheuere Absurditäten stützt.

    Der Serien-Expansions-Faktor betrug im speziellen Fall von Vincent und dem Schizopartner exakt eine Minute und achtundvierzig Sekunden, plusminus fünf Mikrosekunden. - Die Theorie des Suchens funktionierte hier perfekt.

    Eine Theorie der Verlorenen Bilder ist leider bis zum heutigen Tag noch nicht ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses geraten. Die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen, so daß die Explorationen wagemutiger Pioniere der Bilderarbeit allein hoffen lassen auf eine Lösung des Problems und eine bessere Welt.

    Um zurückzukommen auf das eingangs erwähnte Bonmot “Kunst ist was gefällt”: Eine Theorie der Kunst müßte natürlich ebenfalls entwickelt werden, aber diesbezüglich wird erwartet, daß die Künstler und ihr ignorantes Publikum selbst mal ihre Spatzenhirne anstrengen

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