WASTE ART in Wien und Linz

Mitten im Winter der Pandemie 2020/2021 hat Ina Loitzl die Ausstellung in der Factory des Künstlerhauses Wien realisiert. Von dort hat sich die Ausstellung auf den Weg gemacht. Sie wird an jedem Standort neu konfiguriert, gleichsam immer wieder recycelt.

WASTE ART 07.12.2020–
17.01.2021 KURATIERT VON INA LOITZL

Wäre ab morgen der Himmel braun, dann wüssten wir, dass es Zeit ist zu handeln. Die Politik, die EU, NGOs –
jeder/jede Einzelne kann agieren. Greta Thunberg hat uns das am besten bewiesen.

WASTE ART ist eine Kunst-Ausstellung zum Thema Müll – für jedes Alter und für wirklich jede und jeden.

Die FACTORY im Künstlerhaus Wien scheint mir der ideale Ort dafür zu sein: Ein völlig neu renoviertes Haus, picobello herausgeputzt und strahlend, bringt „Müll“ in seine Ausstellungsräume. Ich stelle mir die Frage, warum in der Kunst die Thematik der jahrzehntelangen Haltbarkeit wichtig ist, aber im Gegenzug selten bedacht wird, dass der Plastikbecher, aus dem ich gerade meinen To-Go-Kaffee trinke, mich überlebt? Mich ängstigt, dass der Plastikkonsum uns alle in seinen Bann zieht. Er hat uns in den letzten Jahrzehnten regelrecht überrollt.Fakt ist, dass Begriffe wie „Klimakrise”
oder „Müllberge“ schon seit den 80er Jahren bestehen und regelmäßig verwendet werden.
Ebenso Fakt ist, dass
wir seit 40 Jahren einer wissenschaflichen Warnung bezüglich der Verknappung der Ressourcen, der wachsenden Müllberge und der Erderwärmung, durch die Medien immer eine skeptische Gegenmeinung gegenübergestellt bekommen. Die Echokammern der sozialen Medien verstärken diesen Trend sogar noch exponentiell.

Seit jeher wurde in der Kunst mit Trash, Abfall, Second-Hand-Materialien gearbeitet, sei es aus finanziellen und praktischen
Gründen, oder aus Anlass, sich von der „hohen Kunst“ abzuwenden, zu distanzieren, um etwas Neues zu schaffen. In den letzten Jahrzehnten entwickelten sich zahlreiche Bewegungen wie Recycling, Upcycling oder Zero Waste mit dem Ziel, Dinge haltbarer zu machen, und um dem überbordenden Konsum und dem Wegwerfhabitus unserer Zeit entgegenzuwirken.Auf 200 m² zeigen jetzt namhafte Künstler*innen Werke zum Thema. Viele sind nicht aktuell entstanden und schon Teil der Geschichte über Müll.

Die Ausstellung WASTE ART stellt die Schönheit der Arbeiten in den Fokus und betont die Bereitschaft zur materiellen Wiederbearbeitung, die Ästhetik des Wertlosen, des Alltäglichen. Formen entstehen, die an Paraphrasen erinnern, aber auch vollkommen neue ästhetische Erscheinungsbilder erzeugen. Es ist eine schonungslose Dokumentation dieser Prozesse. Kunst war immer schon seismographisch.

Berufe wie die Müllabfuhr werden mit dem Wort des Jahres „systemrelevant“ tituliert – gleichzeitig sorgt ihre Existenz dafür, dass eines der größten Probleme unserer Zeit Tag für Tag aus unserem Blickfeld verschwindet. Die goldene Mülltonne auf dem Podest hinterfragt
dieses System und scheint wissen zu wollen: Was hinterlassen wir unserer Nachwelt? Man denkt sicherlich nicht an
zerbrochene Ski, die man fast wie in der Piefke Saga auf einer Müllhalde oder im nächsten Sommer in der Natur findet.
Man denkt nicht an Kuscheltiere, die so billig produziert werden, dass man siebung für Produkte gemacht, die unser unreflektiertes Konsumverhalten widerspiegelt.
Und ein Kunstfachwarengeschäft ist nichts anderes als ein IKEA für Kreative. Vieles braucht man nicht, doch ist der Einkauf verlockend. Die Kunstproduktion hinterlässt Materialtürme – Farbkanister, Klebebänder, Lösungsmittel, Verpackungsmaterial … Wenn man nur an die verwendete Noppenfolien für den Transport von Kunstwerken denkt – braucht man doch ein Vielfaches an Fläche im Vergleich zum Kunstwerk selbst.

Lebt man vegetarisch oder gar vegan, so ist der Energieverbrauch durch den Fokus auf Gemüse und die dadurch automatisch entstehende Regionalität um vieles geringer als für (zusätzlich CO2 intensives) Rind- und Schweinefleisch. Tierzucht kostet enorm viel Energie in der Fütterung, dem Transport und der Verarbeitung. Dass hier darüber hinaus noch massenhaft Plastikmaterial für den supermarktgerechten Verkauf anfällt, bedenkt man dabei selten. Und: Es ist leider ein nicht abzustreitendes Faktum, dass die Produktion und das Recycling von Nahrungsmitteln, Mode- oder Technikartikeln in Niedriglohnländern passiert. Die Profiteure sind die großen Konzerne und wir als Konsument*innen.

Es stimmt positiv, wenn man Arbeiten als schön empfindet, die aus Müll entstanden sind. Bilder, die, mit leuchtenden, glänzenden Kunststoffstreifen bespannt, neue Städte und Landschaften ergeben. Menschliche Figuren türmen sich aus unserem Alltagsmüll monochrom auf, so als
ob es nie ein anderes Material dafür gegeben hätte. Stencilarbeiten finden auf WASTE ART Kartonagen Platz, die unsereins gleichdirekt in die Papiertonne –nicht wie anno dazumal, geliebt aber zerrupft, seinen Enkel*innen weiter ver- im besten Fallerbt, sondern sie einfach gerade wegenihrer Vielzahl und Wertlosigkeit am Ende der Kindheit lieblos wegwirft.

Ein in der Ausstellung permanent laufender Dokumentarfilm sucht weltweit nach unserem Plastik im Alltag und definiert den Status
quo. Kurzfilme zeigen Polymeransammlungen, bei denen man den Sand am Strand und die Tiere im Ozean nicht mehr wahrnimmt. Kunst ist natürlich auch nicht immer „green art“ und nachhaltig. Man denke nur an den riesigen Messebetrieb, die Transporte, die Reisen und die Material- schlachten für manch übergroße temporäre Installation. Auch das Künstlerhaus muss sich an der eigenen Nase nehmen, denn hier wurde des Geldes wegen auf
riesigen Kunststofftransparenten Wer-gefaltet – entsorgt hätte. Oder Objekte enthalten eine schrill-bunte Farbigkeit,
amorph, wie ein eigener Mikrokosmos. Den bitteren Nachgeschmack sollte man bei diesen ästhetischen Arbeiten trotzdem schmecken. Es ist das, was wir den nächsten Generationen hinterlassen. Weniger wäre besser.
Ina Loitzl
Kuratorin der Ausstellung

 

 

WASTE ART ist eine multimediale Kunst-Ausstellung mit und zum Müll in unserer Gesellschaft, kuratiert von Ina Loitzl. Zu sehen, begehen und erfahren ist die Ausstellung vom 22.6. – 13.7.2021 in der Kepler Hall der JKU Linz.

Ab 22.6.2021 ist sie über Initiative des Instituts für Umweltrecht in der Kepler Hall der JKU Linz zu sehen – mit einem auf Forschungen an der JKU zugeschnittenen Schwerpunkt auf Arbeiten mit dem Material Kunststoff. Willi Bergthaler hat sie in den Lehrbetrieb des Instituts für Umweltrecht integriert; ein Workshop der Animationsfilmerin Nikki Schuster für Jugendliche und ein Vermittlungsprogramm für Schulklassen sprechen auch kommende Generationen von Studierenden an. Die Finissage mit einem Screening des Animationsfilms sowie einer Diskussionsrunde unter dem Motto „Trash we can!“ mit Wissenschaftler*innen. Künstler*innen und Expert*innen aus der Praxis der Abfallwirtschaft schließen die Ausstellung am 13.7.2021 ab.


Namhafte zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler konfrontieren uns mit der Rückseite der schönen neuen Warenwelten, zeigen Auswüchse und Aufbrüche unserer Abfallwirtschaft. Zu sehen sind Arbeiten von
Beteiligte Künstler*innen
Annegret Bleisteiner / D
Werner Boote
Christian Eisenberger
Hans Glaser
Lois Hechenblaikner
Henrike Lendowski /US/DE/UK 
Gudrun Lenk - Wane
Sharon Liu / UK
Ina Loitzl
Kayla Parker / UK
Erwin Stefanie Posarnig
Peter Putz
Johannes Rass
Arne Rautenberg / D
Nikki Schuster / D
Dario Tironi / I
Irene Wölf

lUnter Mitwirkung von garbarage und tricky women

WASTE ART